Montag, 22. Dezember 2014

Heute Morgen

Der Laptop dudelt Musik.
Ich weiß nicht genau, warum ich aufgewacht bin. Ich bleibe einen Augenblick liegen.
Neben meinem Bett auf dem Fensterbrett liegt das Handy.
Nachrichten warten darauf, beantwortet zu werden.
Aber heute muss das Handy warten.
Ich stehe auf, schaue mir die Sachen an, die ich gestern achtlos neben mein Bett geworfen habe.
Ich ziehe mir eine neue Hose an, dazu ein T-Shirt und meine schwarze Baumwolljacke.
Der Mann steht neben der Tür. Er ist schon ziemlich runzelig, sein Gesicht ist eigentlich eine
Ansammlung aus Falten. Auf seinem Kopf lichtet sich sein Haar. Es sieht so aus, als hätte er
sich das fehlende Haar, um es nicht zu verlieren, in Nasen und Ohren gestopft.
Er sieht nett aus, aber wenn man genau hinsieht auch ein bisschen wahnsinnig.
Ich schaue den Mann an. Der Mann verbeugt sich.
"Freut mich, dass Sie wach sind, mein Herr.", sagt er.
Ich gehe ins Badezimmer und putze mir die Zähne. 
Ich wollte heute eigentlich nach Cottbus fahren, ein paar Sachen erledigen.
Aber das muss ich verschieben.
Ich spucke aus und spüle mir den Mund. Dann schaue ich mich im Spiegel an.
Ich bin zufrieden mit mir. Gedankenverloren blicke ich in mein Gesicht.
Der alte Mann räuspert sich.
"Mein Herr, ich möchte Sie nicht drängen, aber..."
Ich löse mich vom Spiegel.
"Nein, ich weiß, der Zeitplan und so, viel zu tun heute..."
Der alte Mann nickt.
Ich gehe zur Tür und ziehe mir die Schuhe an.
Der alte Mann geht mit mir zu dem Auto, was vor der Haustür wartet und hält mir die Tür auf.
Ich steige in das Auto und der alte Mann setzt sich ans Steuer. Der Wagen setzt sich in Bewegung.
"Du?" frage ich den alten Mann.
"Hm?"
"Manche Leute sagen, Glück ist, wenn man macht, was einem gefällt."
"Das ist durchaus möglich, mein Herr."
Ich lehne mich zurück und schaue aus dem Fenster.
Das Auto verblasst langsam, bis man es irgendwann nicht mehr sieht.
Der Laptop dudelt noch eine Weile Musik, bis er schließlich aufhört.
Sonnenstrahlen wandern langsam über das leere Bett.

Samstag, 13. Dezember 2014

Warmer Regen... oder der Geruch von Minze

Tag für Tag durch schreitet sie diese kleine verträumte Gasse und so verträumt wie der kleine steindurchzogene Weg war so verträumt war auch sie. Beim Begehen des Pfades wird ihr Körper immer durch ein komisch vertrautes Gefühl durchströmt, ein Gefühl von Zuhause. Schwer zu beschreiben wenn man es selbst nicht fühlt. Von Außen betrachtet wirkt es wie eine Art Symbiose. So war das schon seit einigen Jahren, doch heute ist irgendetwas anders. Eine gewisse Skepsis zeichnet sich in ihrem Gesicht ab. Ihr Körper rührt sich nicht, sie steht einfach nur am Eingang des schmalen Weges, der ihr bis jetzt so viel Geborgenheit gegeben hat. Wie eine Säule steht sie da, unfähig weiterzugehen. Nur ihre Augen wandern ziellos durch die Gegend, nicht in der Lage etwas zu erkennen. Einfach nur die Dinge des Alltags beobachten und an sich vorbeiziehen lassen. Eine Frage gewinnt in ihr immer mehr Raum, hat sich etwas verändert und wenn ja ist es der Ort oder sie selbst?

Der frische Herbstwind lässt bunte Blätter tanzen, eine Schar Vögel streiten sich um ein paar Nüsse. Sieht so aus als wenn die Schalenfrüchte mithilfe von vorbeifahrenden Autos geknackt worden sind. Eine ziemlich merkwürdige Anpassung an den Fortschritt doch auch irgendwie faszinierend. Wie gebannt schaut sie dem wilden Treiben der Vögel zu. Warum ist ihr das bis jetzt nicht aufgefallen und warum fühlt sie sich außer Stande weiter zu laufen?  Einfach nur da stehen und beobachten, wie so oft nur Beobachterin und nie selbst mitten drin. Es ist so kinderleicht mittelmäßig zu sein. Das einzige was aus der Ferne ruft ist die lähmende Ruhe die langsam immer näher kommt und versucht sie in den Arm zunehmen.

Und plötzlich ist es da, das Gefühl aus den jungen Kindertagen! Die Zeit vergeht auf einmal wieder so langsam, alles bewegt sich in Zeitlupe. Ist sie einfach zu schnell oder alles andere nur langsamer geworden? Alles wird grau und Bewegungslos, nur noch endlose Stille ist zu hören. Die Bedeutungslosigkeit dringt tief in ihr Mark ein und versucht sie in die Endlosigkeit zu ziehen. Sie schleißt die Augen, die vergangenen Jahre ziehen an ihr vorbei. Wo fängt Weihnachten an und wo hört Ostern auf? Alles verzerrt sich und durchfließt ihr Inneres, die bunten Lichter der Erinnerung malen imposante Bilder von damals die sie längst vergessen hatte. Wenn sie ihre Augen öffnen würde, wäre da nur noch belanglose Farblosigkeit. Warum sind all die Lichter über die Jahre erloschen? Die Farben und Gerüche? Das standhafte Gerüst ihrer Erkenntnis? All die Wahrheiten die sie sich über die ganzen Jahre aufgebaut hat? Nichts davon ist mehr Wirklichkeit, nur noch blasse Lautlosigkeit ist übrig. Sie fragt sich, ob Krankheit ihren Körper mit Gift verseucht hat und sie deswegen auserstande ist wieder sie selbst zu sein.

Sie versucht sich zu konzentrieren und erkennt den Umriss eines alten Wohnhauses an dem sie immer gerne vorbei gegangen ist. Hier war immer der romantische kleine Garten mit den wilden Kräutern und Pflanzen, es lag der Duft von Minze immer in der Luft der ihre Nase leicht kitzelte.
Doch irgendwas ist anders, wo ist das warme Gefühl hin? Das Haus sieht mit der Brille der Ernüchterung aus wie aus einer anderen Epoche, irgendwie fehl am Platz. Die Fassade wurde von den Tränen des Himmels stark angekratzt, so als ob dieser sein bedauern für die vergangene Zeit ausdrücken wollte. Vielleicht müssen Häuser wie dieses einfach weg. Dem Mädchen geht es ähnlich, sie fühlt sich einfach fehl am Platz. Was war der Sinn dieses Hauses und welchen Sinn hat sie in ihrem Leben? Sie versucht sich zu erinnern, doch es fällt ihr keine brauchbare Antwort ein. Wie ferngesteuert bewegen sich ihre Beine nun doch weiter.
Was kann sie tun ?

Langsam und allmählich verdrängen Lichter die Finsternis, welche sich langsam auf die Stadt zu legen droht. Wie lange stand sie wohl da? Es kam ihr vor wie Minuten, aber es scheint doch mehr Zeit vergangen zu sein, so kalt wie ihre Glieder sich anfühlen. Wenigstens etwas das sie noch fühlen kann. Diese fernen Geräusche die so viel Alltag ausdrücken sind nicht für ihre Ohren bestimmt, nur die Ruhe hat noch Gewicht und der immer größer werdende Drang zu beobachten, einfach zuschauen wie alles verfliegt. Seelenlose Gestalten ziehen an ihr vorbei, wo genau ist der Unterschied zu ihr? Verschiedene Fragen durchbrechen ihre Trägheit. Vielleicht sollten die Menschen wieder was sagen wenn sie miteinander reden und nicht irgendwelchen belanglosen Dreck von sich geben, was ist das für eine Frage: "Wie gehts dir?" Wie soll man darauf antworten? Was soll denn gehen....muss denn immer was gehen?...
"Was machst du?"...
Muss man denn immer was machen?...
Beobachten?...
Sie versucht das Verhalten der Menschen zu verstehen, doch was kann sie schon verstehen?
Wer ist sie denn?...
Und was kann sie als kleiner Mensch schon verstehen?...
Beobachten?...
Ruhe ist Stille?...und Stille ist Geborgenheit?...

Doch warum kann sie als Beobachterin sich selbst nicht sehen, warum fällt ihr der Blick auf sich selbst so schwer? Was kann sie tun, um sich selbst wahrzunehmen? Warum verschwimmt ihr Inneres über die Jahre hinweg immer mehr, was für ein Mensch war sie damals und wer ist sie jetzt und warum kann sie sich selbst nicht mehr im Spiegel betrachten ohne das sie in der Kälte steht und ihr warmer Regen über die Wagen fließt?
Was hat sich verändert?
Leuten ziehen an ihr vorbei und sie fragt sich, warum sie diese ziehen lässt ohne ein Lächeln. Alles wird taub oder war es schon immer taub und erst jetzt kann sie es wahrnehmen?
Wahrheit...die Suche nach Wahrheit...
Was soll sie glauben?...
Was kann sie sehen?...
Etwas machen?...
Beobachten?...
Am Ende kann ihr Niemand helfen.....
Also auch sie selbst nicht?...
Die Suche geht weiter...
Glück?...
Alles was davon geblieben ist, ist die Erinnerung an den weinenden Himmel und die sich spiegelnden Sonnenstrahlen welche den Horizont in bunte Bögen schmückten...