Es
war einmal im Dorf. Es war kein großes Dorf und es lag mitten an der
Grenze zu einem gigantischen Wald. Natürlich lebten die Leute vom
Jagen und Sammeln, doch versuchten sie nie zu tief in seine Pfade zu
wandern. Man wusste ja nie, welche Gefahren dort lauerten. Doch
in einer der stürmischten Nächte, die das Dorf je erleben musste,
kam ein Mädchen zur Welt, wie sie noch nie im Dorf geboren wurde.
Je mehr sie heranwuchs, desto mehr wurde klar, dass sie eigentlich für ein kriegerisches Leben bestimmt war, nur war sie leider in
einem kleinen friedlichen Dorf geboren. Ihre Knie waren stets
aufgeschürft, ihre braunen Haare stets verdreckt und ungekämmt. Als
die Frauen ihr das Korbflechten beibringen wollten, flechtete sie
sich sogleich einen Köcher für ihre Pfeile. Als man ihr zeigen
wollte, wie sie für ihren zukünftigen Mann kochen sollte,
konzentrierte sie sich lieber auf den anatomischen Aufbau der
Schlachttiere und suchte nach ihren Schwachpunkten. Unter ihrem Bett
hatte sie ein Kästchen, wo sie die ausgeschlagenen Zähne der anderen
Dorfkinder aufbewahrte. Irgendwann gaben ihre Eltern und der Rest des
Dorfes auf, aus ihr eine Frau für Haus und Hof zu machen und ließ
ihren Willen freien Lauf.
Eigentlich
war sie ständig in Bewegung, stieg auf Bäume, schwamm in Flüßen
und grub nach allerlei Käfern und Getier. Nur Nachts am Lagerfeuer
saß sie still, wenn die Dorfältesten von den mystischen Tieren
erzählten, die angeblich in den tiefsten Tiefen des Waldes leben
sollten. Onyxhirsche mit schwarzen glänzenden Hufen und Geweih, so
groß, dass sie ganze Tannen mit ihren Schaufeln umwerfen konnten.
Fenchelvipern, die meterlang und giftig waren, deren Schuppen in der
Sonne wie Smaragde leuchteten. Aber am liebsten hörte das Mädchen
die Geschichte vom gigantischen Taurenbären, der das krumme Horn
eines Widders trug und mit seinen riesigen Pranken ganze Wolfsrudel
erschlagen konnte. Es waren Legenden und Geschichten, aber das
Mädchen schwor sich diese Tiere zu jagen und zu erlegen, da sie wie
die Herausforderung wirkten, die sie ihr ganzes Leben lang suchte.
Mehrere
Sommer und Winter lang ging das Mädchen bei den besten Jägern des Dorfes in die
Lehre, baute sich Messer und Bögen, lernte die Flora und Fauna der
Waldgrenze kennen. Als sie meinte, genug gelernt zu haben, beschloss sie tief in den Wald zu wandern, und mit den erlegten Kreaturen
wiederzukehren. All das Flehen ihrer Eltern konnte sie nicht vom
Gegenteil überzeugen. Das Mädchen ging und die Tage und Nächte
hielten ihren steten Einzug in das Dorf.
Nachdem
mehrere Wochen vergangen waren, begangen die Eltern ihre Tochter zu
besingen und baten die Götter darum, ihr Kind doch wieder
zurückzubringen. Erst nachdem die Blätter an den Bäumen langsam
ihre grüne Farbe gegen rote und braune Farben tauschten, tauchte an
der Lichtung des Waldes eine Gestalt auf. Ein Arm war in eine
Schlinge gewickelt und die Person zog eine Trage hinter sich her.
Darauf lag ein erlegter Onyxhirsch, mehrere Pfeile steckten noch in
seinem großen Körper. Es war das Mädchen. Ihr Gesicht war
geschunden, aber sie grinste breit, als ihr die ersten Dorfbewohner
entgegenliefen. Das Dorf feierte ausgelassen ihre Rückkehr, mit
Tanz, Gesang und herzhaften Hirschbraten. Der Dorfälteste ernannte
das Mädchen zur größten Jägerin des Dorfes. Das Mädchen blieb
und ließ ihren Arm und Wunden heilen. Doch kaum konnte sie wieder problemlos Bäume erklettern und Bögen spannen, machte sie sich
erneut auf in den Wald. Mittlerweile war der Herbst eingezogen und
tagelang regnete und donnerte es.
Eines
Nachts, als es wieder besonders ausgiebig stürmte und Wasser aus den
Wolken prasselte, klopfte es an der Dorfhalle. Viele Leute hatten
dort Unterschlupf und Wärme gesucht. Als man die schwere Tür
öffnete, trat eine vermummte Gestalt ein, in der Hand einen prall
gefüllten Sack. Die Person warf den Sack vor die Füße der
Dorfbewohner und dabei klirrte es, als ob tausend Scherben auf den
Boden prasselten. Ein mutiger Mann ging zum Sack und öffnete ihn. Als
er hineingriff zog er die grünen schimmernde Haut einer Fenchelviper
hervor, das Licht des Feuers brach sich in jeder einzelnen grünen
Schuppe. Mittlerweile hatte sich die Gestalt von ihrer Kapuze befreit
und zum Vorschein kam das Mädchen, im Gesicht ein wenig vernarbter
als vor ihrer Reise, aber trotzdem noch breit grinsend und mit wilden
Locken auf ihrem Kopf.
Erneut
wurde groß gefeiert, Liedermacher widmeten ihr ganze Sonette, es
wurden Banner und Tücher mit ihrem Antlitz gewebt. Doch das alles
kümmerte das Mädchen nicht. Sie konnte nur daran denken, endlich
diesen einen Gegner zu erlegen, der ihr ebenwürtig sein würde. Der
Taurenbär. Die ersten Flocken deckten das Dorf mit einer Schicht von
Schnee, als das Mädchen erneut in den Wald zog.
Der
Winter zog ein ins Land und selbst die hintersten Ecken des Waldes
waren von einer tiefen Schneeschicht bedeckt. Das Mädchen ließ sich
nicht davon beeindrucken und machte sich tagtäglich auf die Suche
nach dem Bären, oder wenigstens seinen Spuren. Ihre Vorräte waren
bald aufgebraucht und das Suchen nach Nahrung war nicht gerade
einfach in dieser Umgebung. Sie war kurz davor ihren Rückzug
anzutreten und vielleicht bis zum Sommer zu warten um den Bären zu
finden, doch selbst die Rückkehr war in dieser Witterung ungewiss
Eines
Morgens wurde sie von einem grollenden Geräusch geweckt. Etwas
brüllte in einer Lautstärke, wie sie es noch nie vernommen hatte. Es
musste der Bär sein. Sie packte ihr Messer und ihren Bogen ein und
machte sie auf den Weg. Bald schon entdeckte sie auch Spuren, doch
nicht nur die des Bären, sondern auch kleinere. Schließlich blickte
sie von einem Hügel auf eine kleine Lichtung. Ein Rudel
Schattenwölfe war dabei ihre Beute zu umzingeln. Es war ein
gigantischer Taurenbär, der mit Leichtigkeit die dreifache Größe
seiner Gegner hatte. Sein Fell blutete an mehreren Stellen und ein
Hinterbein schien schwer verletzt.
Das Mädchen hatte ihr Ziel erreicht. Ein Taurenbär, und sogar schwer verletzt. Hat sie erst einmal die Wölfe vertrieben, hätte sie leichtes Spiel mit ihm. Sie spannte den Bogen und legte an. Der Pfeil traf einen der Wölfe direkt in den Hals. Tot sackte er zu boden. Das restliche Rudel wandte sich sofort an den neuen Angreifer, doch der Bär nutzte die Verwirrung und mobilisierte seine Kräfte um 2 Wölfe mit einem Prankenhieb gegen die Bäume zu schleudern. Auch sie fielen tot zu Boden. Das restliche Rudel entschied nicht mit noch mehr Verlusten aus dieser Sache zu gehen und rannte tief in den Wald. Das Mädchen begann mit gespannten Bogen dem Bären entgegen zu gehen. Dieser war in sich zusammengesackt, atmete schwer und weißer Dampf stieg aus seinen Nüstern. Das Mädchen betrachtete ihn eingehend. Eines seiner Hörner war abgebrochen, seine Schnauze von alten Narben gezeichnet, es schien ein älteres Exemplar zu sein.
Langsam
ging sie immer weiter Richtung Bär. Als der Bär sie ausmachte,
versuchte er kurz sich aufzurichten, aber brach unter seinem eigenen
Gewicht wieder zusammen. Er brüllte ein letztes Mal verzweifelt.
Beide blickten sich direkt in die Augen. Dem Mädchen schien es so,
als ob der Bär aufgegeben hatte, er wusste, dass er nicht mehr davon
kommen konnte. Sie blickte ihm eine ganze Weile an. Dann ließ sie
langsam den Bogen sinken. Ein paar Meter vor der Schnauze des Tieres
nahm das Mädchen Platz. Der Bär hob seine Stirn als er neugierig
beobachte, was das Wesen vor ihm da trieb.
Lange
saß das Mädchen nur da und starrte auf den Bären. Das wofür sie
all die Jahre trainierte, wofür sie aufstand und lebte, lag jetzt
vor ihr. Sie war an ihrem Ziel. Und doch fühlte es sich nicht
richtig an. Nicht nur weil er verletzt und damit im Nachteil war,
sondern auch so schien ihr in diesem Moment, dieses Tier viel zu
schön und viel zu bedeutend um ihm so einfach das Leben zu nehmen.
Was sollte sie nun tun? Das Tier von seinem Leid erlösen?
Heimkehren? Sie war ratlos.
Nach
einiger Zeit stand das Mädchen auf und ging. Der Bär beobachtete
sie , wie sie hinter dem Hügel verschwand und senkte seinen Kopf
wieder auf den Boden. Nicht mehr lang und er könnte endlich den
langen Schlaf schlafen.
Der
Bär hatte seine Augen geschlossen und war eigentlich schon sicher
den langen Schlaf gefunden zu haben, als er durch ein Rascheln vor
ihm geweckt wurde. Das Wesen war wieder da, doch diesmal hatte sie
Beutel und noch mehr Dinge dabei.
Das
Mädchen hatte ihr Lager abgebaut und nahm es mit zum Bär. Sie
wusste noch nicht genau was sie da tat, aber es fühlte sich gerade
richtig an. Erst spannte sie ihre Felle an den Bäumen um sich und
den Bären einen Schutz vor dem Schnee zu geben. Jedes Mal wenn sie
sich dafür den Bären nähren musste, knurrte und brummte er laut.
In
ihren Beuteln fand das Mädchen noch ein wenig Trockenfleisch. Es
nahm einen Bissen und legte den Rest vorsichtig in die Nähe der
Bärenschnauze. Anfangs vernahm sie nur das übliche Gnurren, doch
bald kam aus den Nüstern ein deutliches Schnuppern und mit einer
schnellen Bewegung war das Fleisch im Maul des Bären verschwunden.
Er schnupperte in der Hoffnung noch etwas übersehen zu haben und
sackte dann enttäuscht in sich zusammen.
Als
die Nacht hereinbrach machte sie das Mädchen daran Hölzer zu
sammeln und baute sie in der Mitte vor sich und dem Bären auf. Der
Bär beobachtete interessiert das Treiben. Doch als das Mädchen sich daran machte das Feuer mit ihren Zündzeug zu entfachen, versuchte
der Bär panisch sich aufzurichten und sich von dem Feuer zu
entfernen. Das Mädchen hob beschwichtigend die Hände und ging
langsam auf den brüllenden Bären zu
Der
Bär versuchte sich mühsam auf seine Vorderpfoten zu stemmen um sich
vor dem Mädchen aufzurichten. Langsam bewegte sich das Mädchen mit
einer Hand vor, kurz davor die Schnauze zu berühren. Erst hörte sie
noch das Knurren, dann ein langes Schnauben. Mit einer mutigen
Bewegung berührte das Mädchen die Schnauze des Bären. Er weichte nicht zurück. Langsam begann sie ihre andere Hand auf den Kopf des
Bären zu legen. Sie fühlte sein dichtes warmes Fell. roch seinen
erdigen schweren Duft. Sie begann ihn langsam zu kraulen, streichelte sein Fell. Der Bär sank langsam nach unten, ein kehliges
Geräusch von sich gebend.
Am
nächsten Morgen wurde der Bär von einem schmerzhaften Ziehen in
seinem verletzten Bein geweckt. Als er seinen Kopf nach hinten drehte sah er das Mädchen wie es damit beschäftigt war, Kräuter und
Stoffe um seine Wunden zu legen. Er brüllte und versuchte sich zu
winden, aber das Mädchen ließ sich davon nicht beeindrucken. Erst
als sie alles sicher verknotet hatte, ließ sie ab von ihm.
Die
nächsten Tage verbrachten sie beide in Stille vor dem Feuer, ab und
zu verschwand das Mädchen um dann einen Tag später mit erlegten
Rehen oder Kaninchen zurückzukehren. Der Bär fühlte, wie sein
Körper zu neuen Kräften kam, sein Beine wieder langsam sein
Gewicht tragen konnten. Immer wieder stand er kurz auf, drehte sich im
Kreis, leckte sich sein Fell oder schnupperte ein wenig im Schnee, um
nach kurzer Zeit sich wieder in der Nähe des Feuers legen.