Ich bin wahrscheinlich in der besten Zeit für Computer aufgewachsen, die jemals existieren wird. Und ich bin sehr dankbar dafür. Nach dem Ende des kalten Krieges erlebte der Osten Deutschlands die Fortschritte der westlichen Mikroelektronik. Immer mehr neue Geräte konnten eingekauft werden und Heimcomputer wurden zum alltäglichen Werkzeug der 90er-Jahre. Bereits mit fünf Jahren, 1995, wurde ich an eine Technik herangeführt, die für die meisten noch Science-Fiction war und teilweise heute immer noch ist. Ich spielte Computerspiele, weil ich ohne die Hilfe meiner Eltern in Welten vordringen konnte, die ich mit mir selbst aushandeln konnte. Und ich spielte Computerspiele, weil ich gegen meine Freunde antreten konnte. Es machte Spaß, sich nicht mit seinen physischen, sondern mit seinen motorischen und taktischen Fähigkeiten zu messen. Doch es ging noch weiter.
Anfang der 2000er-Jahre kam ich das erste Mal eigenständig mit dem Internet in Kontakt. Ich lernte Google kennen, fing an, Weblogs zu folgen, spielte im Internet, war sogar in einem Clan integriert, lernte Foren- und Moderatorkultur kennen, schrieb eigene Beiträge, programmierte Webseiten, Programme, eigene Level in Jedi Knight II und sogar Spiele im RPG-Maker. Ich verbrachte einen Großteil meiner prägenden Kindheit damit, vor einem Desktop-PC zu sitzen und die Schönheit einer Welt kennenzulernen, in der ich mehr über Computer und das Internet wusste, als meine Eltern, ja sogar mehr als alle Erwachsenen, denen ich damals begegnet bin.
Es war eine Zeit, als das Internet noch ein Ort voller Innovationen und Experimente war, als noch Anleitungen geschrieben wurden, wie man seine eigene Webseite programmiert und nicht einfach zusammenklickt. Und ich möchte diese Zeit in Erinnerung behalten, als es noch nicht so etwas wie soziale Netzwerke gab, sondern man sich der Internetarchitektur bedient hat, um eigene Ideen umzusetzen. Aber ich möchte nicht, dass der Artikel zu sehr in die Richtung, Großvater erzählt von der guten alten Zeit, abdriftet. Ich frage mich viel mehr, was diese Bedingungen aus meinem Leben gemacht haben. Und auch, was diese Bedingungen aus euch oder euren Kindern machen werden.
Ich möchte mir kein Leben mehr ohne Computer vorstellen, weil sie für mich zu dem Werkzeug geworden sind, mit dem ich alle meine Gedanken miteinander verbinde. Sie lassen entfernte Erinnerungen wieder aufleben, sie bieten mir Unterhaltung, sie geben mir Zugriff auf die Gedanken so vieler intelligenter Menschen. Ohne das Internet hätte ich wahrscheinlich nie ein so starkes Interesse am Lernen entwickelt. Ich verbringe einen Großteil meines Tages vor Bildschirmen, die einen Teil meines Gehirns ersetzen und den anderen Teil herausfordern und ergänzen. Computer sind mehr als nur Arbeitsobjekte für mich. Sie unterstützen meine Wahrnehmung und man könnte fast behaupten, dass sie so etwas wie ein körperliches Organ geworden sind. Das Erschreckende daran ist für mich jedoch, dass dieses Organ als solches noch nicht in seiner Bedeutung von allen Menschen erfasst wird.
Natürlich kann man auch ohne Computer leben. Genauso wie man auch ohne Geschmack oder ohne Gehör leben könnte. Aber wenn man die Möglichkeit hat und einmal verstanden hat, wozu dieses Organ fähig ist, dann möchte man nicht mehr darauf verzichten. Umso verwerflicher sind die Implikationen eines geldorientierten Systems auf die Verwendung von Computern und Internet. 50 € und Sie haben denselben Zugriff auf das Wissen der gesamten Menschheit wie alle anderen, die es sich leisten können. 500 € mehr und Sie können mit ihrem Computer die Berechnungen durchführen, die notwendig sind, um die Infrastruktur Ihrer Umgebung zu modernisieren. Ist es das, was wir wollen?
Wie alles in unserer Umgebung beeinflussen uns Computer durch die Art und Weise, wie sie uns begegnen. Wenn wir Computer als ein Smartphone wahrnehmen, auf dem wir lediglich Apps installieren, Videos schauen und hin und wieder eine Webseite aufrufen, dann werden wir wahrscheinlich in eine Richtung erzogen, die uns die Möglichkeiten nimmt, unabhängig zu sein. Unabhängig von Herstellern, unabhängig von Autoritäten. Wir verlieren einen Teil unserer Freiheit, weil wir keine Lust dazu haben, Computer zu verstehen. Und weil wir schon unter diesen Umständen keine Lust mehr haben, werden auch die zukünftigen Generationen nicht davon profitieren.
Häufig sitze ich in der Bibliothek meines Vaters und frage mich, ob ich, wenn ich keinen Computer zur Hand gehabt hätte, die ganze Zeit über diese Bücher lesen würde, die auch schon mein Vater gelesen hat. Und ich antworte: Sehr wahrscheinlich. Aber gleichzeitig denke ich mir, dass ich in meinem Leben schon wesentlich mehr im Internet gelesen habe, als alle Bücher in dieser Bibliothek zusammen. Ich habe mehr gelernt. Ich habe Aktuelleres gelernt. Und ich habe teilweise Interessanteres gelernt. Die Angst vor Computern ist für mich nicht mehr als die Angst vor Büchern. Man denkt, sie nehmen einem Zeit weg, aber in Wirklichkeit verbringt man die Zeit einfach anders.
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